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Kirchenreformgruppen gegen Menschenhandel und Ausbeutung in Europa

Gabi Feyler von "IN VIA" im Gespräch

von Bernd Michl

Das Europäische Netzwerk "Kirche im Aufbruch" hat sich zur 10. Jahreskonferenz Anfang Januar 2000 in Schmiedeberg/Erzgebirge (bei Dresden) getroffen. Vertreterinnen und Vertreter von Kirchenreformgruppen aus elf europäischen Ländern wollten auch durch die Wahl des Tagungsortes nahe der EU-Grenze die Brisanz ihres Themas "Ausgrenzung, Menschenhandel und Ausbeutung in Europa" deutlich machen. Als Vertreter der Initiative Kirche von unten, einer der Mitgliedsgruppen des Europäischen Netzwerks "Kirche im Aufbruch" war Bernd Michl, der auch im STAU des ÖNB aktiv ist, dabei.

Die Folgen des doppelten wirtschaftlichen Gefälles: Deutschland Ost-West und Europa West zu Osteuropa sind den meisten westlich orientierten Menschen in ihrem Ausmaß nicht bewußt. Besonders betroffen von den Folgen des Wohlstandsgefälles sind Frauen: Arbeitslosigkeit trifft vor allem Frauen, bei der steigenden Kriminalität sind Frauen eher die Opfer, bei Kindesmißbrauch die Mädchen; im Menschenhandel und in der Prostitution werden die Frauen ausgebeutet. Das Geschäft mit der Prostitution stellt inzwischen den größten und lukrativsten Markt dar - besonders, aber nicht nur an der EU-Grenze.

Einige wenige Organisationen, wie z.B. "IN VIA", die auch in München aktiv ist, leisten Sozialarbeit und Aufklärung in der Szene und im Umfeld.

Mit der Dresdner Organisatorin von "IN VIA", Gabi Feyler, hat Bernd Michl gesprochen. Ausschnitte werden hier dokumentiert

Frage: Welche Aufgaben hat sich IN VIA gestellt?

Feyler: IN VIA ist eine Organisation, die sich seit über hundert Jahren darum kümmert, Mädchen und junge Frauen zu einem selbstbestimmten Leben zu begleiten. Besonders im Süden Deutschlands ist dieser Fachverband bei der Caritas angesiedelt. In der Berufsorientierung, Lebensplanung für Mädchen engagieren sich Sozialarbeiterinnen. Sie bieten in Beschäftigungsprojekten Wiedereingliederungshilfen für benachteiligte Frauen, die die Lehre nicht abgeschlossen haben, an, bzw. fangen sie aus der Arbeitslosigkeit auf. IN VIA ist bekannte Au-pair-Vermittlungsstelle und jahrelang erfahren in der Migrantinnenarbeit.

In Dresden haben wir den IN VIA Diözesanverband e.V. im Sommer 1999 gegründet für Angebote in der Offenen Jugendarbeit. Europäische Freiwillige werden besonders ins ost- und mitteleuropäische Ausland entsandt, es werden Osteuropäerinnen zu einem einjährigen Dienst in soziale und soziokulturelle Projekte nach Deutschland eingeladen, wie auch Au-pair-Vermittlungen angeboten.

Frage:Habt Ihr Erfolg, könnt Ihr den Frauen helfen?

Feyler: Wenige Teams von Sozialarbeiterinnen arbeiten aufsuchend entlang der polnisch-tschechisch-deutschen Grenze im grenznahen Raum in der Gesundheitsfürsorge, Aidsprävention. Ein alternatives Leben können sie den Prostituierten nicht anbieten. Ich habe von Sozialarbeiterinnen erzählen gehört, daß die Frauen längere Zeit brauchen, um Vertrauen zu gewinnen: Alle wollen aussteigen aus dem "Geschäft" - ihrer Misere, aber wenn sie schon Jahre drinstecken, haben sie kaum oder keine Chance mehr.

Frage: Wo liegen die Hauptursachen für diese Probleme? Wie könnte darauf aufmerksam gemacht werden?

Feyler: Das Problem ist die EU-Wohlstandsgrenze. Die Sozialarbeiterinnen im grenznahen Raum haben herausgekriegt, daß die Freier, die die Prostituierten "bedienen", nicht etwa die fremden skandinavischen Truckfahrer sind, sondern die biederen Väter und Ehemänner aus dem Umkreis der Grenze, also schlicht diejenigen, die mal schnell am Wochenende für Bier, Benzin oder Karlsbader Oblaten rüberfahren, eine halbe Stunde. "Frischfeisch" ohne Service kostet ja nur 50 DM ! - Was treibt Frauen in die Prostitution? Aus Ost- und Mitteleuropa kommen sie und erhoffen sich das Paradies oder wenigstens bessere Lebens- und Arbeitbedingungen. Die meisten Frauen haben kein familiäres Hinterland ...

Wie könnte man darauf aufmerksam machen? Auf die Frage hin angesprochen, erklärte die Bürgermeisterin einer grenznahen Gemeinde: "Nie und nimmer könnte so was einer aus unserer Gemeinde tun, wir kennen uns doch alle...". Als ich eine katholische Schwester, die als Gemeinde- und Krankenhelferin im Grenzland tagaus, tagein unterwegs ist, auf das Problem ansprach, sagte sie allen Ernstes, sie wisse gar nicht, wovon ich überhaupt rede.

Frage: Wie wird IN VIA unterstützt, welche Veränderung gibt es hinsichtlich öffentlicher Unterstützung? Und welche Möglichkeiten der Unterstützung gäbe es, z.B. für Ökumenische Gruppen?

Feyler: Wir wünschen uns von Herzen einen Freundinnenkreis, der uns in unserem vielfältigen in- und ausländischen Engagement begleitet und unterstützt - schöne Ansätze gibt es schon. Es kann so beglückend sein, Verständigung und Verständnis, Bereicherung und so viel Wärme und Lebendigkeit in den Projekten zu erleben. Die Arbeit ist auch eher begeisternd als frustrierend. Letzteres passiert einzig mit dem dauernd zu geringen Geld. Derzeit warten wir z.B. auf die uns vor einem halben Jahr zugesagten EU-Mittel, mit denen wir aber schon so lange arbeiten!! Auch um kommunale und Landesmittel gibt es ständigen Papierkrieg. Wenn man inhaltlich arbeiten und nicht nur Akten produzieren will, braucht man eine außerordentlich gute Arbeitsorganisation und Unterstützung - und gute Nerven.Ihr seid herzlich eingeladen, Kontakt mit uns aufzunehmen, mitzudenken; vielleicht mal einer Freiwilligen nach Litauen einen Brief zu schreiben ... oder der Russin Margarita ein wenig unter die Arme zu greifen, damit sie ihr Zimmer in Dresden in einer WG bezahlen kann. Ach, es gibt Möglichkeiten genug zu.

Was das Projekt der Unterstützung der Sozialarbeiterinnen an der E 55 betrifft, so recherchieren zwei Diplomantinnen derzeit sämtliche EU-Förderrichtlinien für Antragstellung auf Personal- und Sachkosten. Es soll (bald?) eine EU-Kampagne geben zum Thema "Gewalt gegen Mädchen und Frauen". Wenn es uns gelingt, einen EU-Antrag auszuarbeiten, wird's spannend, ob wir den Zuschlag bekommen, wieviel Eigenmittel oder Drittmittel noch gefunden werden müssen - dann sieht die Sache schon wieder etwas besser aus. Geb's Gott, daß wir so weit kommen.

Kontaktadresse: Gabi Feyler, H.-v-Taube-Str. 1, 01720 Bannewitz

Netz-Info, April 2000
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