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"Fünf vor Zwölf"

Sonntag den 18. Juni 2000 in Passau, Domplatz

von Pater Dr. Othmar Noggler

Meine Damen und Herren,

die Gruppe, die Sie hier zu Füßen des Schuldenturms, neben den Informationstafeln, der Klagemauer mit Mahnwache, sehen, steht hier für Forderung nach Schuldenerlaß für die ärmsten Länder in unserer Welt.

Sie werden sagen, es sei naiv, wenn vierzig Leute, die auf einem "Ökumenischen Pilgerweg für Gerechtigkeit" von Regensburg nach Passau wandern, glauben, damit Einfluß auf die Entscheidungen der hohen Politik und der Wirtschaft nehmen zu können. Tatsächlich sind wir so naiv. (Schließlich stehen wir nicht nur als Einzelne hier. Die Organisatoren sind das Missionswerk der katholischen Weltkirche in Bayern, MISSIO München, das Missionswerk der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Neuendettelsau, das Ökumenische Netz Bayern mit Sitz in Regensburg, in dem eine ganze Reihe von Initiativgruppen im "Konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" zusammenarbeiten und schließlich Verantwortliche für den weltweiten Bezug der evangelischen und katholischen Gemeinden, deren Gäste wir Pilger und Pilgerinnen auf dem Weg nach Passau waren. Nicht minder wichtig war die Zusammenarbeit Initiativgruppen hier in Passau und Vilshofen, denen Schuldenturm,. Plakatwände und Schuldenkette zu verdanken sind.)

Wir glauben, es hat einen Sinn, die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen in unserem Lande, je nachdem, in ihrem Vorhaben, die ärmsten Länder zu entlasten, zu unterstützen, zu mahnen, wenn sie ihre Versprechungen nicht einhalten und zu protestieren, wenn sie sich sperren, die eigene Mitschuld, die auch mit die unsere ist, an der Verelendung der ärmsten Länder anzuerkennen.

Der Schuldenturm, den Sie vor sich aufragen sehen, hat ein ziemlich genaues Datum seines widersinnigen Beginns. Bis zur sog. Ölkrise in den 70iger Jahren, als es in unserem Land "autofreie" Sonntage gab als Folge des explodierenden Rohölpreises, gab es noch keine astronomisch hochverschuldete Länder. Erst der Dollarsegen in den Ölförderländern, der unter die Leute sollte, "arbeiten" musste, wie es in der Fachsprache heißt, ließ die Länder der sog. Dritten Welt als Kreditnehmer interessant erscheinen, nachdem die europäische Wirtschaft keine Kredite aufzunehmen wagte.

Der damalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Wischnewski ließ eine Ausstellung durch die Betriebe ziehen unter dem Leitwort: " Entwicklungshilfe sichert Deinen Arbeitsplatz in der Zukunft". In einer gesunden Kaufmannslogik hieße das heute: nur entschuldete Partner können Handelspartner sein und damit unsere Arbeitsplätze sichern helfen.

Leichtfertige Kreditvergabe, das leichte Geld, führte zur überstürzten Industrialisierung in den sog. Entwicklungsländern, führte in Brasilien z.B. zum Bau von vier Kernkraftwerken mit deutscher Technik und deutschen Krediten. Uns sicherten sie Arbeitsplätze, den Brasilianern brachten sie nur Schulden; kein einziges dieser Kraftwerke ging ans Netz.

Dazu kommt, daß Kapital und Zinsen in US$ zurückzuzahlen sind. Das bedeutet, wer Kredit zu einem Wechselkurs von DM 1,42 ( Regierungszeit von Jimmy Carter) aufgenommen hat und dann Kredit und Zinsen zum Dollarpreis von DM 2,15, wie vor ein paar Wochen, oder zu DM 2,00 zurückzahlen sollte, würde auch hierzulande bankrott gehen.

Weil viele Staaten die Schulden nicht bezahlen konnten, gab es "Umschuldung", also neue Kredite, nun allerdings teilweise zu Wucherzinsen von bis zu 20%. D.h. in weniger als fünf Jahren ist die ausgeliehene Summe zurückbezahlt, ohne auch nur eine Mark für die Tilgung des Kredits aufgebracht zu haben. Gleichzeitig setzte weltweit ein Preisverfall der Rohstoffe ein, so daß nicht einmal ein verstärkter Export die Einnahmen steigern konnte.

Daß dies nicht so weitergehen kann, möglicherweise auch bislang gesunde Wirtschaften mit in den Ruin treiben könnte, hat ein Umdenken in der Politik und im Kreditwesen geführt.

Für die ärmsten Länder wurde deshalb wurde auf dem G7+ 1-Gipfel der führenden Industrienationen in Köln vor einem Jahr ein Schuldenerlaß versprochen.

Schuldenerlaß ist keine karitative Maßnahme. Sie war es auch nicht, als die Siegermächte des II. Weltkriegs 1953 der Bundesrepublik die Kriegsschulden erließen. Wir müßten noch heute für den Schaden an Gebäuden und Infrastruktur bluten, den deutsche Truppen und Luftwaffe in den Ländern der ehemaligen Kriegsgegner angestellt haben, hätten die Sieger unsere Schulden nicht erlassen. Von den Millionen Menschenleben und Versorgungsansprüchen ganz zu schweigen. Die beschämende Rolle einiger deutscher Unternehmen bei der mehr als bescheidenen Entschädigung ihrer ehemaligen Zwangsarbeiter und der dafür notwendigen 10 Milliarden, läßt die Höhe der Ansprüche erahnen.

Der Schuldenerlaß gegenüber Deutschland entsprang politischer Einsicht und nicht karitativem Denken. Das gleiche gilt für den geforderten Schuldenerlaß gegenüber den ärmsten Ländern des Südens.

Selbstverständlich ist der geforderte und beschlossene Schuldenerlaß für die ärmsten Länder auch, und besonders für Christen, eine ethische Forderung. Ein Volk, und damit seine Menschen, haben ein Recht zu leben. Dazu gehören: Hinreichend Nahrung, sauberes Trinkwasser, ein Dach über dem Kopf, Ausbildung und eine medizinische Grundversorgung. Dies alles ist wegen des Schuldendienstes in den ärmsten Ländern nicht mehr zu leisten.

Die Verschuldung hat aber, soweit sie uns betrifft, nicht nur leichtfertig gegebenen Krediten unanständigen Handelspraktiken, sondern auch mit ungerechten Löhnen zu tun und ist damit ein ethisches Problem.

In dem ersten Sozialwort einer Kirche überhaupt, in dem Weltrundschreiben zur sozialen Frage von Papst Leo XIII. von 1891, hätten wir einen bis heute nicht eingelösten Maßstab. Gerechter Lohn, ob in Afrika, Asien oder Lateinamerika, müßte nach diesem Papstwort beinhalten: Der Mann als Ernährer müßte mit seiner Arbeit für Frau und Kinder einen anständigen Lebensunterhalt aufbringen, ein Stück Land mit einem bescheidenen Heim erwerben und, wenn er sparsam ist, den Seinen noch ein paar Spargroschen vererben können. Für die ärmsten Länder hieße das, auch das Schulgeld für Kinder muß aufzubringen sein. Das wäre keineswegs gleicher, aber gerechter Lohn, weil bezogen auf die Lebenshaltungskosten. Weil in den armen Ländern nirgends gerechter Lohn bezahlt wird, freie und nicht soziale Marktwirtschaft den Handel bestimmt, hungern Menschen vor vollen Schaufenstern, müssen Mütter, zusehen, wie ihre Kinder unterernährt körperlich und geistig zurückbleiben, gar sterben, weil ärztliche Hilfe nicht bezahlbar ist und Männer greifen aus Verzweiflung zur Waffe und machen das Elend nur noch schlimmer. Die geschieht, während übersatte Gläubigerbanken Milliardengewinne scheffeln und übersatte Gläubigernationen weiterhin Waffen gegen neue Kredite verkaufen und lange genug selbstgerecht behaupteten: Schulden sind gefälligst zurückzuzahlen!

Es ist also fünf vor Zwölf. Die Politiker haben es erkannt. Daß sie selbst ihre Versprechen nicht vergessen, nicht trickreich die versprochene Hilfe entwerten und Unwillige wie Uneinsichtige Zeitgenossen umdenken, dafür steht hier diese Mahnwache. Daß die versprochene Entschuldung der ärmsten Länder Wirklichkeit wird, erbitten wir, meine Damen und Herren, Ihre Unterstützung im Namen der Menschlichkeit.

Netz-Info, September 2000
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