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"Doch der Weg zu den Quellen führt gegen den Strom"

Zwangshaft wegen Bannmeilenverletzung

Brief von Schwester Monika

"Doch der Weg zu den Quellen führt gegen den Strom" - Mit diesen Worten Franz Jägerstätters, der im ganz persönlichenWiderstand gegen die Nazi-Herrschaft sein Leben verlor, beginnt die "kleine Schwester Monika-Maria von Jesus", die dem Ökumenischen Netz Bayern von etlichen Jahresversammlung her noch in bester und lieber Erinnerung ist, ihren Brief im April 2001.

Was war geschehen? Sie berichtet:

"Vom 9. April bis 12. April werde ich in Frankfurt-Preungesheim meine 4-tägige Zwangshaft absitzen. Was war der Anlaß?

Bannmeilenverletzung: Ich habe zusammen mit 10 anderen Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Ökumenischen Pilgerweges an der Einfahrt zum Bundeskanzleramt neben einem Transparent gestanden. Es hatte die Aufschrift: "Schuldenstreichung für die Dritte Welt". wir rollten das Transparent sofort ein und verließen den Ort, als die Polizei uns aufforderte. Das Anliegen war, am Tag vor dem G7-Gipfel im Juni 1999 auf die Auswirkungen der Geldgeschäfte für viele Menschen, ganze Völker und unsere Demokratie hinzuweisen. - Dazu zwei Beispiele:

1. Wenn ich jemandem erzähle, daß 100 000 DM auf Kredit aufgenommen wurden, deswegen innerhalb von 16 Jahren 400 000 DM zurückgezahlt wurden und dann immer noch von demselben Kredit 400 000 DM Schulden bestehen, bekomme ich als Antwort: "Das stimmt doch nicht, das kann doch gar nicht sein!". Das Komitee für den Schuldenerlass der Dritten Welt (CADTM) in Brüssel hat ausgerechnet, daß "die Länder der Peripherie von 1982 bis 1998 das Vierfache ihrer Verbindlichkeiten bezahlten, ihre Auslandsschulen aber trotzdem 1998 viermal so hoch waren wie 1982" (connection 6/ 2000, S. 53).

2. Wenn ich sage, was würden Sie tun, wenn ein Privatkonzern sich eine Teilstrecke einer deutschen Autobahn nimmt und Gebühren dafür verlangt als private Einkünfte ...? ... ich stelle mir vor, daß wir dann protestieren und sagen "da kann ja jeder hingehen ... die Autobahn ist eine öffentliche Einrichtung, die allen gehört." Beim Geld schweigen wir merkwürdigerweise, obwohl es eine öffentliche Einrichtung ist und uns allen im Land in gleicher Weise gehört. Die Gebühren, die auf das Geld gelegt werden, nennen sich Zinsen und diese verteilen in ständig zunehmender Weise das öffentliche- allen gehörende Geld auf private Banken. Mittlerweile zahlt der Bundeshaushalt, wir alle, enorme Summen von Geldgebühren (= Zinsen) in private "Hände": 1,3 Milliarden täglich! Das sind etwas 9 mal soviel wie die gesamte jährliche Sozialhilfe (connection 6/ 2000, S. 53). Unser Staat steuert der Zahlungsunfähigkeit entgegen und wir schweigen ...

Unsere Grundverfassung, unsere Demokratie, das Leben von Menschen und Völkern stehen auf dem Spiel.

Es ist merkwürdig, daß auf das Stehen neben einem Transparent "Schuldenstreichung für die Dritte Welt" in der Bannmeile 4 Tage Zwangshaft erfolgen, ohne die Bereitschaft, den ungeheuren Verstößen gegen Menschen- und Grundrechte unserer Demokratie ernsthaft nachzugehen.

Ich wünsche und hoffe, daß all dies zu einer Nachdenklichkeit beitragen kann."

Tagung "Widerstandserfahrung und gesellschaftliche Verantwortung"

Inge Ammon beantwortete Schwester Monikas Brief mit einem Bericht von der Tagung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins, den wir auszugsweise veröffentlichen.

"Es ist schon eine seltsame Fügung, daß Dein Haftantritt mit dem Beginn der Tagung der Evang. Stadtakademie München vom 4. bis 6. Mai 2001 zum Thema 'Widerstandserfahrung und gesellschaftliche Verantwortung' zusammenfiel, bei der das ÖNB mit dem Dietrich-Bonhoeffer-Verein und der Stiftung "Weiße Rose" Mitveranstalter waren.

So referierte Frau Prof. Dr. Renate Wind über 'Die Motivation zum Widerstand bei Willi Graf (Widerstandsgruppe Weiße Rose) und Dietrich Bonhoeffer' und machte deutlich, daß der katholische Saarländer Willi Graf und der protestantische Preuße Dietrich Bonhoeffer, in christlichen Familien aufgewachsen, zwar nicht zum Rebellen geboren waren, aber in Verantwortung für ihre Mitmenschen sich für den Widerstand entschieden und dafür ihr Leben opferten. Tragischerweise wurden beide von ihren Kirchen ausgegrenzt, weil diese ein Recht auf Widerstand ablehnten. ...

Neue Fragestellungen und gesellschaftpolitische Herausforderungen beleuchtete Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, Studienleiter der Evang. Akademie Mühlheim/ Ruhr, mit seinen Überlegungen "Von der Staatsomnipotenz zur Wirtschaftsomnipotenz?" Als ehemaliger Bürgerrechtler analysierte er glasklar den Machtwechsel von der Politik zur Ökonomie und seine zerstörerischen Folgen für das Gemeinwesen, für die Beziehungen der Menschen. Alle Bereiche des Lebens werden Marktgesetzen unterworfen, ein Wettbewerb um das "Kriegen" hat eingesetzt. Das ökonomische System verschärft die sozialen Gegensätze, die totalitäre Vermarktung hat eine Religion des Mammonismus entstehen lassen. Das Menschenbild in dieser Marktreligion ist "der haben wollende Kunde", Warenhäuser werden zu Tempeln umgestaltet und suggerieren 'Wellness' und Glück, Priester des Konsums sind die Werbefachleute in den Werbeagenturen."

Daß sich die Arbeitsgruppen gerade auch mit Fragen der Gerechtigkeit beschäftigten, zeigte wie sehr ganz unterschiedliche Gruppen und Initiativen letztlich zusammenarbeiten können, wenn es um das Wohl des Menschen und seine Würde geht.

Netz-Info, Sommer 2001
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