D.D. FRANKFURT, 29. April. Ein halbes Jahr nach dem Beginn des Entschuldungsprozesses in Bolivien hat der Erzbischof von La Paz, Abastoflor, eine erste Bilanz gezogen. Aufgrund der Schuldeninitiative der G-7-Länder vom Herbst 1999 habe Bolivien, das ärmste Land Südamerikas, im Jahr 2001 etwa 30 Millionen Dollar weniger an Zinsen und Tilgung an internationale Gläubiger zahlen müssen. In diesem Jahr könne sich die Minderung des Schuldendienstes auf etwa 120 Millionen Dollar belaufen, sagte der Erzbischof dieser Zeitung. Nach dem Armutsbekämpfungsprogramm, das Bedingung des Schuldenerlasses sei und vom Parlament im Juli vergangenen Jahres beschlossen worden war, muss das freigewordene Geld zur Bekämpfung der Armut verwendet werden. Nach Worten Abastoflors kommt es überwiegend dem Ausbau des Erziehungs- und des Gesundheitswesen zugute. Mehr als 10 000 Lehrer sollen alleine in diesem Jahr eingestellt werden.
Um Korruption und Zweckentfremdung des durch den Erlas von insgesamt 1,2 Milliarden Dollar Auslandsschulden freigewordenen Geldes zu verhindern, musste die bolivianische Regierung sich verpflichten, die Verwendung der freigewordenen Gelder durch die Gesellschaft kontrollieren zu lassen. Verlangt hatten diese Kontrolle indes nicht die Weltbank oder der Weltwährungsfonds. Die katholische Kirche hatte seit 1999 in diesem Sinn Druck auf die Regierung ausgeübt und dazu gesellschaftliche Gruppen wie Gewerkschaften und Bauern-Organisationen mobilisiert. Im Juli vergangenen Jahres beauftragte das Parlament in einem Gesetz zum "nationalen Dialog" die katholische Kirche des Landes, den "Kontrollmechanismus" aufzubauen. Dank der Engagements der Kirche, die in der Bevölkerung wegen ihres Einsatzes hohes Ansehen genießt, gibt es inzwischen in allen regionalen und in vielen kommunalen Verwaltungsbezirken Gremien, die die ordnungsgemäße Verwendung der Mittel überwachen. Unterstützt wird die bolivianische Kirche in ihrem Engagement zugunsten der Gesellschaft und vor allem der Armen von den zwei Partnerdiözesen in Deutschland, Trier und Hildesheim, dem deutschen Bischöflichen Hilfswerk Misereor sowie von der deutschen Regierung.
"Der Kirche geht es darum, die Demokratie zu verbessern", sagte Abastoflor, der zusammen mit den anderen bolivianischen Bischöfen vor kurzem zu Gesprächen im Vatikan gewesen und anschließend in Berlin mit Vertretern der Bundesregierung und des Bundestages zusammengetroffen war. Es dürfe indes nur ein erster Schritt sein, dass Repräsentanten der Gesellschaft die Regierung und die Verwaltung bei der Verwendung der freigewordenen Gelder aus dem Schuldendienst überwachten. Bolivien erhalte in jedem Jahr beträchtliche internationale Finanzhilfe. Auch die Verwendung dieser Gelder müsse stärker als bisher überwacht werden, damit das Land an Vertrauenswürdigkeit gewinne.
Abastoflor zeigte sich jedoch skeptisch über die Möglichkeit, dass der Schuldenerlass zu einer nachhaltigen Verringerung der Armut in Bolivien führe. Aufgrund der Wirtschaftskrise des Nachbarlandes Argentinien und eines schwachen Exportes sei es nicht gewiss, dass das Land überhaupt soviel Geld erlöse wie für den ursprünglichen Schuldendienst erforderlich. Dann aber stehe auch weniger Geld für die Armutsbekämpfung zur Verfügung. Auf Dauer gehe die Armut nur zurück, wenn die Wirtschaft des Landes im internationalen Wettbewerb erfolgreicher sei. Dazu müssten die Industrieländer ihre Märkte wesentlich stärker als bisher für Produkte aus weniger entwickelten Ländern öffnen und Handelshemmnisse abbauen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.04.2002, Nr. 100 / Seite 7
Netz-Info, Juni 2002