Frauen bereiten sich auf den Weltgebetstag vor. Hier bei uns in Viscri, an vielen Orten der Erde. Die Vorbereitungsgruppe liest die Texte, die Gebete, übt die Lieder: Frauen finden Vertrauen zueinander – sie haben nur noch wenig Angst, andere könnten über sie lachen, wenn sie nicht so flüssig lesen. In der orthodoxen Gemeinde gibt es keine Gemeindearbeit, wie wir es aus unseren evangelischen und katholischen Gemeinden, erst recht aus den Freikirchen kennen. Der Domul parinte hält die Slujba, der Herr Pfarrer hält den Gottesdienst. Hausbesuche bei Alten und Kranken gibt es nicht, wenigstens hier nicht. Das Gemeinde-Verständnis ist ein anderes. Die evangelische Gemeinde ist stark dezimiert, und seit der Weltgebetstag in Rumänien gefeiert wird, arbeiten hier die Frauen der umliegenden evangelischen Gemeinden zusammen und feiern ihn unter sich. Es gibt aber auch wirklich ökumenische Feiern, z.B. in Hermannstadt (Sibiu).
Der Weltgebetstag ist eines der vielen Beispiele, wie unsere Frauen angefangen haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Dass diese Anstöße von außen kamen, mindert die Qualität in keiner Weise. Es gibt Vieles, wozu es Anstöße von draußen braucht, es gibt Vieles, das braucht dann Jahre Betreuung, bis es mündig ist – einem neugeborenen Menschen vergleichbar, der zu pflegen und zu behüten ist, der Muttermilch braucht, um zu wachsen und zu gedeihen, und Liebe: vor allem Liebe. Ich bin sicher, ein wichtiger Teil unserer Anstöße basiert darauf.
Maria sagt oft: ich liebe die Frauen – und ganz erfüllt ist sie. Ob es die Weltgebetstags-Vorbereitung ist oder die Mitarbeit in der Sockenannahme. Manchmal ist sie auch ganz, ganz fertig und ausgelaugt.
Sicher, wir, Maria und ich, haben viel „angezettelt“, z.B. die Zettelkästen an einer Reihe von Hoftoren quer durchs Dorf – aus denen die Informationen immer wieder abgerissen werden, die der Pflege bedürfen, für die es Verantwortliche gibt (ob wir eines Tages – und dann auch mit Männern – eine Dorfzeitung herausgeben?).
Zuerst haben wir nur für die von uns betreuten acht Kinder Vollkornbrot gebacken, dann hat es Racula gelernt. Heute backt sie zweimal pro Woche in ihrem großen holzbefeuerten Steinbackofen im Hof jeweils 22 Brote zu 2,5 kg und versorgt uns, die Suppenküche, Frauen aus dem Dorf – und es werden immer mehr. Noch knetet Racula den Sauerteig in der Backmolle mit den Händen und mit Hilfe ihrer Mutter – und doch: sie besorgt alles völlig selbständig.
Da gab es eine jahrelang verwaiste Krankenstation (dispensar) in der Schule. Annette, die wie wir, aber mit völlig anderen Motiven, satt von Deutschland, sich hier mit Roman niederließ, organisierte Geld und Krankenschwester – und heute, an einem Dienstag im Februar war selbstverständlich das Behandlungszimmer geheizt und Schwester Catarina versorgte Menschen aus dem Dorf – das nächste Krankenhaus, der nächste Arzt oder die nächste Ärztin, 14 km von hier, in der Kleinstadt Rupea, kaum erreichbar, seit vor fast 10 Jahren der öffentliche Nahverkehr eingestellt wurde. Für das Dispensar wurde ein Cafe für unsere Gäste, Besucher, Touristen eingerichtet und mit den Überschüssen, die durchaus erzielt werden, finanziert Annette einen Teil der Kosten.
...und strickt Socken: das Sockenstricken hat das Dorf langsam und nahezu unmerklich verändert – die Sockenstube mit ihren inzwischen nahezu 150 Frauen, ist zum Kristallisierungsort geworden. Wenn so viele Frauen und Mädchen ab 14 Jahren dort ein- und ausgehen, gibt´s so viele Kontakte, wie wohl sonst nirgends – und wenn es auch manchmal funkt, wenn die Kontakte falsch gepolt sind – das bleibt die Ausnahme. - Die Stimmung stimmt.
So sind es die Frauen der Sockenstube, Paraschiva, Lili, Maria, Clauditza, Camelia, Maria, die den WGT vorbereiten; es sind die Frauen der Sockenstube, die den Kindern bei der Bewältigung der Schularbeiten helfen, Luminitza, Raluca, Clauditza, Natascha; es sind die Frauen der Sockenstube, welche die Spinnerei betreiben, Cutza, Livia, Marcela, Aurora, Luminitza (mit Ghitze, dem Mechaniker); es sind, wie oben berichtet, die Frauen aus der Sockenstube, die das Brot backen und das Cafe betreiben; es ist Mirela aus der Sockenstube, welche die Suppenküche in Gang hält und täglich 20 bis 30 Kinder mit Schulbrot und einer warmen Mahlzeit versorgt. Es sind schließlich Camelia, Clauditza, Gabi und Maria, die in der Sockenstube die vielen Frauen bedienen – ja wirklich: es ist eine dienende Arbeit. Die Stimmung stimmt.
Tina und Ronni aus Deutschland haben sich hier angesiedelt: Tinas ganzes Engagement gehört ein paar Straßenkindern – Kinder aus Viscri, die unter schwierigsten Bedingungen überleben: für sie und mit ihnen macht sie „Schule“, Kinder, die nie in der Schule waren.
Ronni, der Gemeindepädagoge und Tischler, stellt in Handarbeit die wunderschönen Holzknöpfe für unsere Westen und Jacken her und lernt den Umgang mit vielen Problemen, die die Menschen hier haben, aus täglicher Erfahrung.
Ganz neu: zwei Menschen sind zu uns gestoßen, Vitus aus Österreich und Aljona, Sieben-Tages-Reisen von hier entfernt, aus Russland. Sie helfen, wo Not ist, wo Lücken sind, beim Reparieren von Schlitten oder beim Übersetzen, denn Aljona spricht perfekt Deutsch und Rumänisch
Das lebendige und mitnehmbare Zeugnis sind die Socken. Mit Socken wollen sich fünf der Frauen, Camelia, Clauditza, Cutza, Maria und Maria, auf dem ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin vorstellen, von unserem Leben ein beredtes Zeugnis abgeben. Vielleicht kommen einige von Euch beim Stand des ÖNB in der Agora vorbei...
...und wir brauchen auch Hilfe von Euch. Die Reise nach Deutschland ist teuer. Sie kostet etwa 2000 Euro. Wir haben gehört, dass das ÖNB um Sonderspenden dafür gebeten hat. Wir danken allen, die uns diese Fahrt ermöglichen!
Deutsche Einwanderer haben im 12. Jahrhundert diese Region auf Geheiß des ungarischen Königs Geza besiedelt. Etwa 250 Städte und Dörfer entstanden im nördlichen Karpatenbogen. Die Deutschen nannten sich Siebenbürger Sachsen. Sie haben in ihrer über 800-jährigen Geschichte eine gewaltige Kulturleistung vollbracht.
In vielen Dörfern sind Kirchenburgen entstanden. Die Kirche als Burg. Denn es gab im Laufe der Zeiten viele gewaltsame Zusammenstöße, Kriege mit anderen Völkern, die ihre Macht über diese Region ausüben wollten. Davor galt es sich zu schützen. Die Burgen wuchsen um die Kirchen und wurden zu Zufluchtsstätten in jeder Beziehung. Unser Dorf nannten die Besiedler Deutsch-Weißkirch.
Im auslaufenden 2. Jahrtausend nun gab es eine große Welle der Rücksiedlung. Sie war die Folge der Öffnung der Grenzen zum Westen nach dem Ende der Schreckensherrschaft unter Ceaucescu – und wurde auch zum Ende der Siebenbürger Sachsen. In großen Strömen verließen sie das Land, dessen Kultur sie geprägt, dem sie ihre Sprache gegeben hatten.
Es gab und gibt trotzdem Unverzagte, die nicht dem Trend folgten, die mit Elan und Energie für den Erhalt dieser einmaligen Kulturlandschaft kämpfen. Das ist insbesondere in unserem Dorf der Fall. Karoline Fernolend, eine jüngere Sächsin, hat mit ihrer Familie und wenigen Sachsen hier nicht nur die Stellung aufrecht erhalten, sondern in engagierter Weise Außerordentliches für das Dorf geleistet: so wurde die Kirchenburg und das farbenfrohe Ensemble von typischen Häusern zum Weltkulturerbe erklärt. Das setzte auch Geldmittel in Bewegung, die u.a. zur Restaurierung der Kirchenburg und zur Renovierung von Haus-Fassaden verwendet wurden.
Mit Einsatz wird daran gearbeitet, Viscri auch für den „Fremdenverkehr“ zu erschließen, was ebenfalls dem Dorf und seiner Bevölkerung zugute kommt.
Kontakt: Harald und Maria,
3029 Viscri Nr. 57, jud. Brasov,
Romania
Netz-Info, April 2003
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