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Brief an meine Enkel

Aus einem Vortrag vom 9. September 1999

von Friedrich Schorlemmer

Ihr werdet in ein neues Jahrtausend wachsen. Unvorstellbar, das dritte Jahrtausend beginnt. Welche zweitausend Jahre liegen hinter uns und hinter Euch! Und was wollt Ihr davon mitnehmen? Ihr werdet nicht neu anfangen können und Ihr werdet neu anfangen müssen. Die Welt ist alt und Ihr seid jung.

Was ist eigentlich an einer Jahrtausendwende so dramatisch? Nichts.

Es ist unsere Zählung, eine kollektive Vereinbarung in unserem Kulturkreis, die an einen Wendepunkt menschlicher Geschichte erinnern soll. Wenn Ihr zählt, müßt Ihr immer mitbedenken, daß es immer Anno Domini – post Christum natum – heißen müßte.

Es ist Erinnerung an eine Zeitenwende, verbunden mit einer besonderen historisch-kosmischen Konstellation. Einem Stern am Himmel entsprach ein Stern auf der Erde. Ein in einer Hütte Geborener wurde »Star« der Jahrtausende. An die geschichtliche Wende, in der sich Himmel und Erde berührten und da Ungreifbares greifbar wurde, wo der unnennbare Gott in einem nennbaren Menschen erschien und das bloß Natürliche in einem doppelten Sinne aufgehoben wurde: Der Mensch kann sich von seinen instinkthaften Bindungen lösen; er kann dem Machtwillen Liebe, der Angst das Vertrauen entgegenstellen. Und auch dem Tod wird seinen End-Gültigkeit genommen.

Zweitausend Jahre »nach Christus« heißt, zweitausend Jahre »Christentum«, also viele Kirchen viele Krankenhäuser, viele Kriege, viele Kreuzzüge, viel Kult, viel Kultur.

Zwischen der Botschaft des Wanderpredigers und der weltweit wirkenden Institution Kirche liegen freilich Welten. Dies wurde in dem sarkastischen Satz zusammengefaßt: »Jesus verkündete das Reich Gottes und gekommen ist die Kirche«.

Und dennoch wirkt seine Botschaft, sein Leben und Sterben weiter wie ein »Licht auf dem Berge«, ein Leuchtfeuer der Hoffnung, wie »Salz der Erde«, brennend in den Wunden der Welt. Das Reich Gottes, eine Welt in Gerechtigkeit und Frieden, das ist wie ein ausgestreutes winziges »Senfkorn«, dem man nicht ansieht, daß daraus ein Strauch wird, in dem Vögel nisten können.

Auch wenn die Welt sich globalisiert, wie es heute jeden Tag in der Zeitung steht, werdet Ihr in einem abendländisch-christlichen Lebensraum groß werden.

Unsere Kultur wird sich ihr Profil erhalten, indem sie andere Kulturen gelten läßt, aber die eigene Kultur nicht vernachlässigt... Ich glaube, daß es gut für jeden Menschen ist, wenn er weiß und spürt, wo er wurzelt, wo seine Lebensgrundlagen sind, was trägt und was weiter führt, was über den Tag hinaus gilt und dem Leben Sinn gibt.

Auch ... möchte ich Euch die alte Buchsammlung heiliger Bücher, die Bibel, ans Herz legen. Ich bin sicher, daß Euch das gut tut. Daß Ihr im Leben besser zurecht kommt, wenn Ihr Euch »erbauen« laßt, überraschende Erkenntnisse gewinnt, neue Fragen stellt, Eure Zweifel formuliert und eine Sprache der Hoffnung findet...

Friedrich Schorlemmer

Netz-Info, Advent 1999

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