Start | → | Ökumene | → | Archiv Ökumene |
von Gudrun Schneeweiß
Schon wieder soll ich mich an ein neues Wort gewöhnen: »Eurogenese«! Was ist das?
Einmal konzentriert es sich auf Europa und es steckt »genesis« »Schöpfung« darin, also »Schöpfung Europas«, gleichsam eine »Neugeburt« als »Wiedergeburt« eines uralten Bewußtseins. Dies war allen Referenten aus Ost und West, aus Kirchen und Politik wichtig, denn das Wort »Osterweiterung« ist prompt wieder nur vom Westen des Kontinents her gedacht, als ob es »Europa« nur in Westeuropa gäbe.
Über 400 Teilnehmer aus ganz Europa und allen Konfessionen waren auf dem Domberg in Freising versammelt, um Grundlegendes in Referaten zu hören und in Diskussionsrunden und Arbeitsgruppen die Idee Europa zu hinterfragen.
Kardinal Sterzinski (Berlin) betonte, daß die christlichen Wurzeln Europas wieder bewußt gemacht werden, weil die Weisheitstradition des Abendlands, wie sie z. B. Benedikt von Nursia verkörpert, einen rettenden Ausweg aus Verflachung bieten könne.
Bischof Hohmeyer sah die »Kirchen sittlich und theologisch verpflichtet, an der Gestaltung Europas mitzuarbeiten«, denn im Ideal des christlichen Menschenbilds liege die Garantie für ein wahrhaft »menschliches« Leben.
Bundestagspräsident Thierse beschäftigte sich mit den »geistigen Dimensionen des europäischen Zusammenwachsens« und forderte, Europa müsse sich als Friedenssystem bewähren, Gerechtigkeit als soziale Gerechtigkeit im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext üben, die Menschenrechte als Grundlage der Demokratie hochhalten und in einem gesunden Ausgleich zwischen der Freiheit des einzelnen und den Pflichten gegenüber der Gesellschaft ein Gemeinwesen werden, wo gegenseitige Unterstützung (Subsidiarität) und Anerkennung der Wurzeln jedes Menschen in seiner Heimat (Föderalismus) der Globalisierung ein europäisches Gesicht geben könnten.
Prof. Tomka (Budapest) und Prof. Zulehner (Wien) gossen allerdings in ihrem gemeinsamen Projekt »Kirchen als Motor der Integration?« Wasser in den Wein: »Eurogenese« bedeute zwar Ringen um Freiheit der Person, um Gerechtigkeit und um Wahrheit und Sinn des Lebens. Aber gerade »Freiheit« hatte in den Kirchen lange einen schlechten Anwalt und wird von den Menschen heute z. T. aus Angst abgelehnt und »Gerechtigkeit« zieht v. a. im Westen den kürzeren, weil dies »Teilen« bedeute. Selbst die Frage nach dem »Sinn« ist nicht mehr Domäne von »Kirche«, sondern durch die jeweilige Biographie des Menschen bestimmt. Der Beitrag der Kirchen müsse deshalb sein, ihre Freiheitskompetenz zu entwickeln, eine belastbare Solidarität aufzubauen und bei der Sinnfrage vernünftige, belastbare Antworten anzubieten. Dies alles könne aber nicht im Großen geschehen, die Chance der Kirchen ist die lokale Vernetzung.
Gudrun Schneeweiß
Netz-Info, Herbst 2001